Reisebericht von Trudi Vetsch
Im vergangenen Herbst fragte mich Sonam Dorje, Berater und Ausbildungsverantwortlicher der Region Senge La, um Unterstützung für den Winterunterricht in Kalthse, an. In der kältesten Jahreszeit haben die Schulen in Ladakh Winterferien. In dieser Zeit soll der Winterunterricht den Studierenden ein zusätzliches Lernangebot bieten und die Schulabgängerinnen und Schulabgänger auf die Abschlussprüfung vorbereiten.
Dieses privat organisierte Angebot kann nur stattfinden, indem die gesamten Kosten wie Entlohnung, Lehrmittel, Essen und einfachste Einrichtungsgegenstände gesponsert werden. Der Initiant Sonam Dorje erarbeitete in Zusammenarbeit mit dem Projektleiter von EAL, Lobzang Rinchen, ein Budget für alle erforderlichen Mittel. Der Verein EAL leistet den finanziellen Beitrag für die Lehrmittel.
Um mir ein genaueres Bild zu verschaffen, wie ein Internatsbetrieb in der kalten Jahreszeit funktioniert, entschied ich mich, Ladakh im Winter zu besuchen.
Ladakh im Winter — ein besonderes Erlebnis
Zu dieser Jahreszeit ist „das Land der hohen Pässe“ nur über den Luftverkehr erreichbar. Schon auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt fällt einem auf, wie ruhig es auf den Strassen zu und her geht. Keine hupenden Autos, keine vom Verkehr aufgewirbelten Staubwolken und wenig Touristen – stattdessen Stille und eine eisig kalte, klare Bergluft. Die Fernsicht auf die schneebedeckten 6‘000 er ist einmalig.
Tagsüber ist die Sonneneinstrahlung so intensiv, dass das Thermometer an sonnigen und windgeschützten Ecken manchmal die Null Grad Grenze erreicht. Nach Sonnenuntergang oder bei bewölktem Himmel wird es empfindlich kalt. Nur die wenigsten Menschen im Ladakh besitzen nebst dem Kochherd eine zusätzliche Wärmequelle. Die Küche ist im Winter ihr Lebensmittelpunkt.
In der kalten Jahreszeit finden die meisten Feste wie Hochzeiten oder Klosterfeste statt. Das gesellschaftliche Leben ist für die Ladakhis von grosser Bedeutung. Jetzt, in der Winterpause, haben sie Zeit — für einen Schwatz, Verwandte zu besuchen oder an Festen teilzunehmen.
Kalthse — Besuch der Internatsschule für die Jugendlichen der Region Senge La
Kalthse liegt auf der Hauptverkehrsachse Richtung Westen zwischen der Bezirkshauptstadt Leh und Kargil. Von dieser Ortschaft zweigt die Strasse in die Region Senge La ab. Hier befindet sich die staatliche Internatsschule. Von März bis Ende November wird sie von 300 Studentinnen und Studenten der umliegenden Dörfer besucht.
Während den langen Schulferien von Dezember bis Februar findet in diesen Räumlichkeiten der freiwillige Winterunterricht statt. 30 Studierende, davon sieben Jungs und 23 Mädchen, im Alter zwischen 14 und 18 Jahre, werden in den Fächern Englisch, Hindi, Bhoti (tibetische Sprache), Informatik, Naturwissenschaft und Mathematik unterrichtet.
Es ist beeindruckend mit welchem Eifer und mit welcher Freude die Lehrpersonen unterrichten. Die Räume werden nur durch die eintretenden Sonnenstrahlen der Fensterfront erwärmt. Die Schülerinnen und Schüler sitzen auf dem Boden — eine dünne Matte dient als Schutz vor dem kalten Boden. Trotz den nicht einfachen Umständen zeigen sie einen enorm grossen Willen zu lernen.
Kulturausflug ans Klosterfestival in Likir
Die alljährlichen farbenprächtigen Klosterfeste sind für Ladakhis ein besonderes Ereignis. Von Pauken und Hörnern begleitet tragen die Tänzer ihre rituellen Maskentänze vor. Die einzigartige Atmosphäre breitet sich über den ganzen Klosterhof aus.
Zum Zeitpunkt unseres Aufenthaltes in Kalthse fand im nahegelegenen Dorf Likir ein Klosterfest statt. Sonam Dorje bewilligte den Schülern den Ausflug. Sie erhielten diesen Tag schulfrei, damit sie an das Fest fahren können. Die Busse verkehren im Winter nur gelegentlich. Dies veranlasste mich spontan, die Kosten für den Bus aus der Vereinskasse zu bezahlen, weil kulturelle Anlässe im Winterunterricht nicht budgetiert sind.
Gemeinsam besichtigten wir zuerst die über 900 Jahre alte Klosteranlage. Schon von weit unten im Tal sieht man auf der Anhöhe die Gompa. Die schneeweissen, ineinander geschachtelten Mönchshäuser mit dem Tempelkomplex auf der Hügelspitze bieten einen malerischen Anblick. Heute leben hier etwa 100 Mönche. In der klostereigenen Schule bekommen die Novizen eine gute Ausbildung.
Anschliessend stand der Besuch des Festivals zur freien Verfügung. Das Wetter spielte mit. Und so genossen die Studentinnen und Studenten begeistert das spektakuläre Klosterfest.
Auf der Rückfahrt nach Kalthse besichtigten wir das Wasserkraftwerk in Alchi. Auf dem Rundgang durch das Kraftwerk erfuhren die Studierenden wissenswertes über die Grundlagen der Stromproduktion mit Wasser.
Die Begeisterung und das positive Feedback der Lehrpersonen und der Studierenden veranlasste uns zukünftig solche Bildungsexkursionen ins Budget aufzunehmen.
News aus dem Dorf Yulchung
Während meines Aufenthaltes in Kalthse erfuhr ich per Satelliten Telefonat von der Dorfvorsteherin Jangdol die Neuigkeiten aus Yulchung.
Handwerksraum und Schulhausanbau – Raumtemperatur im Plus-Bereich
Der neu erstellte Handwerksraum und der Schulhausanbau können, dank der zusätzlichen Wärmeisolation sowie der Doppelverglasung, die vom Verein EAL gesponsert wurde, nun das ganze Jahr genutzt werden. Es sei genug warm um selbst bei bewölktem Himmel im Winter die Räumlichkeiten bei angenehmer Raumtemperatur zu nutzen, erzählte Jangdol freudig.
Handwerkskunst
Die passive Zeit kann jetzt genutzt werden, um Handwerkskunst zu betreiben und ihre sozialen Beziehungen zu pflegen, erläuterte die Vertreterin der Frauen — Kooperative. Sie hätten viele Mützen, Handschuhe und Socken gestrickt. Auf Eigeninitiative hin haben die Dorffrauen an der zwei Stunden entfernten Wintertrekkingroute des Chadar Trek einen Verkaufsstand aufgestellt. Die gestrickten Produkte konnten an vorbeikommenden Trekkern verkauft werden.
Winterunterricht
Von Mitte Dezember bis Ende Februar findet der Winterunterricht für Erwachsene und Kinder statt. Zwölf Erwachsene und siebzehn Kinder der Primarstufe zwischen fünf und dreizehn Jahre nehmen daran teil. Der Unterricht findet in den neuerstellten Räumlichkeiten statt.
Lerninhalte sind allgemeinbildende Fächer, ökologische Bewusstseinsbildung und die Weitergabe des reichen traditionellen Erbes. EAL finanziert den Lehrer für die Erwachsenen und eine Lehrerin für die Grundschule, sowie die Lehrmittel.